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Forschungsdiskussion

Die Revolution 1918/19

Über die Ursachen der Revolution von 1918 besteht in der Forschung in prinzipiellen Fragen große Einigkeit. Die Faktoren, die zur Revolution führten, werden allerdings zum Teil unterschiedlich bewertet und gewichtet (ökonomische Ursachen versus ideologische Gründe, Stellenwert der Oktoberrevolution in Russland, Bedeutung der schlechten Ernährungslage usw.). Konsens ist jedoch, dass die Revolution nicht „unvermittelt“ und ohne Grund ausbrach, auch wenn sich das manchen Zeitgenossen so darstellte. Es gab vielmehr eine klassische revolutionäre Situation, die sich wegen des langen Kriegs und der damit verbundenen virulenten Probleme, sowie letztlich der (drohenden, beziehungsweise bereits eingetretenen) Niederlage, schon längere Zeit abzeichnete.

Die Novemberrevolution selber, ihr Verlauf, ihre Ergebnisse und ihre Wirkungen auf die weitere Geschichte nicht nur der Weimarer Republik, sondern auch auf die Nachkriegsdeutschlands, werden in der historischen Forschung – nicht zuletzt bedingt auch durch die jeweiligen politischen Standpunkte – jedoch bis heute kontrovers beurteilt. Lange Zeit galt in weiten Kreisen der bundesrepublikanischen Forschung die These, dass es 1918/19 nur die Alternative gegeben habe, entweder eine Parlamentarische Demokratie zu errichten, wie es die Mehrheitssozialdemokratie angestrebt und dann auch in der Weimarer Republik verwirklicht habe oder aber eine Räterepublik nach sowjetischem Muster zu oktroyieren, wie es die Kommunisten wollten und später – wenn auch sehr stark modifiziert – in der Sowjetunion verwirklichten. Dieses Modell wurde in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit politisch strikt abgelehnt.

In der Forschung der DDR wiederum wurde eher gegenläufig argumentiert. Dort wiesen die Historiker – und das gilt auch für eine Minderheit von Historikern in der Bundesrepublik – vor allem auf die Chancen hin, die von den Handelnden vergeben wurden, als sie sich weigerten, das Experiment eines „Rätedeutschland“ zu wagen. Sie hätten damit – so die Argumentation – auf eine grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ökonomischen Verhältnisse verzichtet, die Reaktion gestärkt und insofern indirekt den späteren Aufstieg des Nationalsozialismus mitverschuldet.

Seit den 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden dann – national und international – diese strikten Positionen aufgelockert. Man diskutierte verstärkt über die Möglichkeit eines „Dritten Weges“, der neben dem Modell der parlamentarischen Demokratie und der Räterepublik existiert habe. Dieser Weg sei aber wegen der Politik der Mehrheitssozialdemokratie nicht eingeschlagen und große Chancen dadurch vertan worden.

Gegenwärtig wird weniger von einem „Dritten Weg“ als vielmehr von der Tatsache gesprochen, „dass die SPD Führung in den November-, Dezember und Januarwochen den ihr zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum nicht ausreichend genutzt hat, um den Abbau obrigkeitsstaatlicher Strukturen voranzutreiben und unübersehbare Zeichen zu setzen […], in der neuen staatlichen Ordnung werde eine merkliche Verschiebung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zugunsten der Arbeiterschaft erfolgen“ (Kolb).

Zugestanden wird der Mehrheitssozialdemokratie wohl, dass sie mit den alten Mächten habe zusammenarbeiten müssen, „das Ausmaß dieser Zusammenarbeit und damit der politischen und sozialen Kontinuität zwischen Monarchie und Republik war [jedoch] erheblich größer, als es die Situation erforderte. Anders gewendet: Die Sozialdemokraten hätten bei stärkerem politischen Gestaltungswillen mehr verändern können und weniger bewahren müssen“ (Winkler). Diskutiert wird also vor allem die Frage, ob die Chancen, die in der Situation vom November 1918 lagen von den (Mehrheits) Sozialdemokraten offensiv genutzt und ausgeschöpft wurden oder ob die Chancen vertan wurden, das Kaiserreich „wirklich“ zu revolutionieren und verlässliche und nachhaltige Grundlagen für eine funktionierende parlamentarische Demokratie zu schaffen. Nahezu übereinstimmend wird gegenwärtig die Entscheidung für eine frühzeitige und intensive Kooperation mit den alten Eliten und gegen einen wirklichen Neuanfang – mit seinen unkalkulierbaren Risiken – von der Mehrheit der Forschung als ein schwerwiegendes Versäumnis bezeichnet. Zu berücksichtigen ist bei einem solchen Urteil allerdings auch, dass die Handlungsspielräume, die von den Historikern aus der gegenwärtigen Perspektive gesehen werden, den Akteuren nur sehr partiell bekannt waren. Entwicklungen, die aus heutiger Perspektive auf der Hand liegen, waren den Zeitgenossen jeglicher Couleur so nicht klar. Die Frage nach einer persönlichen „Schuld“ ist daher sehr differenziert zu betrachten. Denn: Die „Nachgeborenen“ sind immer klüger.

Zu fragen wäre auch, wie ein anderes System hätte aussehen können. Gab es „außer der Weimarer Republik [tatsächlich] noch die Möglichkeit eines ‚dritten Weges’, der von SPD und USPD, sofern sie nur das Demokratisierungspotential der Rätebewegung klug und entschlossen genutzt hätten, bei einem Umbau von Staat und Wirtschaft zugunsten einer sozialen Demokratie hätte eingeschlagen werden können?“ (Wehler). Hätten die Sozialdemokraten trotz aller praktischen Zwänge die demokratische Grundbewegung stärker nutzen können, „um zentrale Elemente einer sozialen Demokratie dauerhaft in der Gesellschaft zu verankern?“ (Berger). Wie weit die je unterschiedlichen Urteile zutreffen, welche Triftigkeit sie besitzen und durch welche Quellen sie gestützt werden, kann mithilfe der breiten Quellen- und Literaturbasis dieser Einheit erarbeitet werden. Für die vieldiskutierte Thematik gibt es eine Fülle von Literatur.

Weiterführend sind unter anderem:

Karl Christian Führer/Jürgen Mittag/Axel Schildt u.a. (Hrsg.), Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1920, Essen 2012.

Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, 8. überarb. und erw. Auflage, München 2013.

Zum Download

Literatur zur Revolution 1918/19