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Die Revolution 1918/19 als europäisches Ereignis

Die deutsche Revolution von 1918/19 gilt in Forschung(en) und Erinnerungskultur(en) als ein Ereignis, das den Verlauf des 20. Jahrhunderts maßgeblich (mit)beeinflusst hat. Sie bildete in vielfacher Hinsicht eine tiefe Zäsur in der deutschen (und zugleich auch europäischen) Geschichte des 20. Jahrhunderts und hat eine Dimension, die die weltgeschichtliche Entwicklung (mit)beeinflusste. Nach ihrem Vorbild (oder in ihrem Gefolge) kam es in den verschiedensten Regionen - vor allem in Europa - zu Revolutionen oder doch zu massiven staatlichen Umwälzungen. In dieser Sequenz soll aber vor allem die Perspektive aus deutscher und speziell aus der Sicht der (verschiedenen) deutschen Sozialistischen Parteien eingenommen werden.

Die Revolution in Deutschland beendete zum einen die Epoche des Wilhelminischen Reiches. Sie löste damit eine Staats- und Gesellschaftsform ab, die sich in vielen Bereichen deutlich von den westlichen Demokratien (Frankreich, Großbritannien) unterschieden hatte. Sie besiegelte bereits nach knapp fünfzig Jahren das Ende des deutschen Kaiserreiches und das Ende einer Entwicklung, in der Deutschland sich - trotz wirtschaftlicher Prosperität und durchaus regem kulturellen und wissenschaftlichen Leben - nur sehr wenig gegenüber demokratischen Tendenzen geöffnet hatte.

Zugleich beendete die Revolution den Ersten Weltkrieg. Sie begann, als der Krieg auch für den blindesten Nationalisten verloren war. Mit der "Machtübernahme" aber übernahmen die Revolutionäre - wenn auch ungewollt - das schwerste Erbe des Kaiserreichs, den verlorenen Krieg. Die Revolutionäre als Liquidatoren des Reichs, und nicht etwa die alten Eliten des Kaiserreichs galten zukünftig als (haupt)verantwortlich für den Kriegsausgang und die daraus erwachsenen Folgen. Sie wurden haftbar gemacht für einen Krieg, den sie nicht befürwortet hatten, über dessen Verlauf sie nicht hatten mitbestimmen können und den sie nun mit einem bitteren Ergebnis für Deutschland beenden mussten.

Mit der von Ihnen weniger initiiert als weitergeführten Revolution unternahmen die Sozialisten - unter äußerst schlechten Rahmenbedingungen - den Versuch, die bisherige innenpolitische Stagnation aufzubrechen, eine Stagnation, durch die bislang vor allem die Arbeiter und ihre Organisationen von der Partizipation an Staat und Gesellschaft ausgeschlossen worden waren. Die alten Machtstrukturen sollten grundsätzlich verändert, die alten Privilegien abgebaut und die Gleichheit aller Bürger erreicht werden. Die herrschenden Schichten von Adel, Militär Industrie und Besitz sollten entmachtet, das alte System, eine Art kaiserlicher Diktatur mit einer Art demokratischem Feigenblatt endgültig überwunden werden. An deren Stelle sollten nun diejenigen Bevölkerungsschichten (zum Beispiel Sozialdemokraten, aber auch die Frauen), die bislang von der Macht fern gehalten worden waren, daran partizipieren. Sie sollten den neuen Staat tragen.

Zugleich stand die Revolution nicht nur im Zeichen einer militärischen und politischen, sondern auch einer ökonomischen Krise. Der Krieg und die Kriegsfolgen mussten aufgefangen, die Nation - diesmal auf einer anderen Basis als im Jahr 1914 - versöhnt und nicht zuletzt das geschlagene Deutschland in das internationale System (wieder) integriert werden - und das auf der Basis eines verlorenen Kriegs.

Nicht zuletzt mussten die sozialistischen Revolutionäre mithelfen, ein neues europäisches System (mit) zu stabilisieren, das in weiten Teilen darauf beruhte, dass Deutschland und sein Verbündeter Österreich geschlagen aus dem Krieg hervorgegangen waren und international als Hauptschuldige für den Ausbruch des Kriegs verurteilt wurden.

Über die konkreten Ziele der Revolution waren sich die verschiedenen sozialistischen Revolutionäre allerdings weitgehend uneinig. Sollte Deutschland ein Verfassungssystem erhalten, das denen der westlichen kapitalistischen Staaten ähnelte? Sollte die Revolution weiter vorangetrieben werden, um auf diese Weise eine weitergehende Systemumgestaltung zu erreichen? Sollte auch das ökonomische System des Kapitalismus grundsätzlich verändert werden? Sollte Deutschland gar ein Staatswesen nach dem Vorbild des "neuen" Russland werden?

Die Antworten auf diese vielen Fragen waren nicht nur in großen Teilen der Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch unter den Sozialisten der verschiedenen Prägung heftig umstritten. Zudem wurden auch regional ganz unterschiedliche Ideen favorisiert und verschieden Wege gegangen. Einig ist sich die Forschung darin, dass es im Jahre 1918 verschiedene Möglichkeiten gegeben hat, die Zukunft zu meistern und verschiedene Formen für den neuen Staat denk- und auch durchsetzbar waren. Eine Bipolarität, parlamentarische Demokratie versus Rätediktatur, hat in dieser absoluten Form nicht bestanden.

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