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Biografie

August Bebel (1840 - 1913): Vom Drechslergesellen zum "Arbeiterkaiser"

"August Bebel", so schrieb es 1980 Willy Brandt, "starb wie ein Kaiser. Und er war es ja auch gewesen - lange zu Lebzeiten: ein Kaiser der Arbeiter und der kleinen Leute, in Deutschland und weit darüber hinaus." Ganz ähnlich hatte ihn schon Karl Marx knapp einhundert Jahr zuvor beschrieben. Dabei war ihm, als er am 22. Februar 1840 in Deutz bei Köln in ärmlichsten Verhältnissen das Licht der Welt erblickte, sein späterer Werdegang keineswegs in die Wiege gelegt. Seine Jugend verbrachte Bebel nach dem frühen Tod des Vaters in Wetzlar und musste schon nach kurzer Schulzeit die Familie durch Heimarbeit unterstützen. Der begabte Schüler hatte eigentlich studieren wollen. Sein ungeliebter Vormund aber stellte ihm die Frage: "Hast du denn zum Studieren Geld?" Damit, so Bebel in seinen Erinnerungen, "war meine Illusion zu Ende." So ging er schließlich 1854 in die Drechslerlehre und trat vier Jahre später seine Gesellenwanderschaft an, die ihn unter anderem nach Freiburg, München und Salzburg führte. Im Jahr 1860 verschlug es ihn nach Leipzig, wo er nicht nur Arbeit fand und seine spätere Ehefrau Julie kennen lernte, sondern sich auch zunehmend politisierte.

Erste politische Betätigung und Hinwendung zum Sozialismus

In Leipzig schloss sich Bebel dem liberalen Gewerblichen Bildungsverein an, dessen Vorsitz, mittlerweile umbenannt in Arbeiterbildungsverein, er 1865 übernahm. In diesem Jahr lernte er auch seinen späteren Weggefährten Wilhelm Liebknecht kennen und näherte sich in kritischer Auseinandersetzung mit den Schriften Ferdinand Lassalles dem Marxismus an. Er sollte zeit seines Lebens ein bekennender, aber undogmatischer Marxist bleiben. Der politische Bruch sowohl mit den Lassalleanern als auch dem bürgerlichen Liberalismus mündete schlussendlich in der Gründung der marxistischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) am 8. August 1869 in Eisenach. Als Organisator, Redner und Autor stieg er rasch zu einem der wichtigsten Vertreter seiner Partei und der Arbeiterbewegung insgesamt auf und zog 1871 als Abgeordneter in den Reichstag ein, dem er mit einer nur kurzen Unterbrechung bis zu seinem Tod angehören sollte. Aber auch der wilhelminische Obrigkeitsstaat nahm den Aufstieg August Bebels und der Arbeiterbewegung wahr: 1872 wurde er wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu zwei Jahren und wegen "Majestätsbeleidigung" zu neun Monaten Festungshaft verurteilt. Abschreckend wirkte diese politische Justiz auf ihn allerdings nicht, während seiner Haft beschäftigte er sich intensiv mit politischer und wissenschaftlicher Literatur. Er nannte diese Zeit später ironisch seine "Haftuniversität". Emanzipation durch Bildung blieb im persönlichen und politischen Wirken August Bebels stets ein roter Faden.

Vom Gothaer Vereinigungsparteitag 1875 bis zum "Sozialistengesetz" 1878 - 1890

Die parteipolitische Einheit der deutschen Arbeiterbewegung wurde schließlich auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag von 1875 vollzogen, als sich SDAP und Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV) zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) zusammen schlossen. August Bebel selbst stand angesichts programmatischer Unterschiede dem Vereinigungsprozess zunächst durchaus kritisch gegenüber, unter praktischen Gesichtspunkten jedoch erwies sich "Gotha" für die Arbeiterbewegung als Glücksfall. Bei der Reichstagswahl von 1877 kam die neu gegründete Partei auf 9,1 Prozent der Stimmen, zu den zwölf Abgeordneten zählte auch wiederum August Bebel. Der Aufstieg der organisierten Arbeiterbewegung stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand Bismarcks und des nach Rechts gerückten politischen Establishments. Am 19. Oktober 1878 verabschiedete der Reichstag das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, kurz: Sozialistengesetz. Gliederungen, Schriften und Versammlungen der Partei wurden verboten, doch ganz entgegen der Intention des Gesetzes führte die Diskriminierung der Arbeiterbewegung zu einer verstärkten Solidarisierung und Mobilisierung innerhalb des eigenen Milieus. August Bebel konnte sich in seiner weiterhin legalen Arbeit als Parlamentarier als schärfster Kritiker der gesellschaftlichen und politischen Zustände profilieren und entwickelte sich zum unbestrittenen Führer erst der deutschen, später der internationalen Arbeiterbewegung. Im September 1890 schließlich wurde das Sozialistengesetz nicht mehr verlängert. Kurz zuvor war die SAPD, die sich im Herbst desselben Jahres in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) umbenannte, erstmals mit knapp zwanzig Prozent der Stimmen zur nach Wählern stärksten Partei in Deutschland geworden. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts und der unvorteilhaften Wahlkreiseinteilung, die den erheblichen Bevölkerungszugang in den industriellen Ballungsgebieten nicht widerspiegelte, blieb die Zahl der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten aber weit hinter dem prozentualen Stimmenanteil zurück. Mit dem maßgeblich von Bebel beeinflussten "Erfurter Programm" von 1891 schließlich wurde die SPD auf einen marxistischen Kurs festgelegt, die Wahl zum Ko-Vorsitzenden ein Jahr später brachte seine führende Rolle innerhalb der Partei noch einmal deutlich zum Ausdruck.

"Die Frau und der Sozialismus" (1879)

Im Jahr 1879 erschien August Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus, in dem er sich sowohl mit der Geschlechterfrage als auch, was das Werk zu einem eigentlichen Bestseller und Klassiker machte, mit dem Sozialismus an sich auseinandersetzte. "Als ich Ende der achtziger Jahre", so schrieb es später Luise Zietz, "als blutjunge Frau Bebels Buch ‚Die Frau und der Sozialismus' in die Hand nahm, da ging es mir, wie es so vielen Proletarierfrauen ebenso ergangen ist: Wie Schuppen fiel es uns von den Augen […]." Trotz anfänglichen Verbots war es wohl eines der einflussreichsten und populärsten politischen Bücher der Neuzeit, erschien in zahlreichen, immer wieder erweiterten und aktualisierten Auflagen und Übersetzungen. Seine Kernthese besagte, dass die Emanzipation der Frau, und er weitete dies in seinem Oeuvre auf jede diskriminierte Gruppe wie etwa Juden oder Homosexuelle aus, nur im und durch den Sozialismus möglich sei: "Es handelt sich also nicht nur darum, die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, was das Ziel der bürgerlichen Frauenbewegung ist, sondern darüber hinaus alle Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht von dem anderen, abhängig machen. Diese Lösung der Frauenfrage fällt mit der Lösung der sozialen Frage zusammen." Und am Ende, so hatte es August Bebel schon Jahre zuvor in der Schrift Unsere Ziele verkündet, stehe der Sozialismus, "eine so vernünftige demokratische Gesellschaft […], wie sie nur je die Welt gesehen hat." Diese emanzipatorische und aufgeklärte Haltung Bebels zeigte sich auch in seiner Ehe mit Julie, die ihn zeitlebens bei seiner beruflichen und politischen Arbeit unterstützte. "Die Ehe", so schrieb es später eine Biografin, "wurde glücklich, und sie blieb es über viereinhalb Jahrzehnte hin." Diese Aussage kann man durchaus politisch verstehen, man vergleiche sie nur mit dem Geschlechterverhältnis in Theodor Fontanes zeitgenössischem Roman Effi Briest.

Im wilhelminischen Zeitalter

Nach der organisatorischen und programmatischen Konsolidierung der Sozialdemokratie nach dem Ende des Sozialistengesetzes trat August Bebel vor allem als innerparteiliche Integrationsfigur und im Reichstag als entschiedener Kritiker der herrschenden Verhältnisse in Erscheinung. In dem seit den 1890er Jahren schwelenden "Revisionismustreit", also der Frage, ob der Sozialismus auf dem Wege der Revolution oder der Reform zu erreichen sei, nahm Bebel ebenso wie in der späteren "Massenstreikdebatte" eine vermittelnde, wenn auch etwas immobile Position auf dem Boden eines orthodoxen Marxismus ein. Auch aufgrund von August Bebels Persönlichkeit und Überzeugungskraft wurden die innerparteilichen Flügel letztlich zusammen gehalten, doch zeigten sich die späteren Spaltungstendenzen schon zu seinen Lebzeiten und brachen nach seinem Tod umso heftiger hervor. Eine seiner politischen Niederlagen in jener Zeit hat sich aber bis heute wohl als eine der größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung erwiesen: Die Gewerkschaften um Carl Legien ordneten sich nicht der Parteiräson unter sondern etablierten sich als zweite, eigenständige Säule der Arbeiterbewegung. Neben dem Parteileben widmete August Bebel seine Zeit vor allem seiner Tätigkeit als Reichstagsabgeordneter. Vor allem seine kritischen Beiträge zur Religions- und Schulpolitik, zur Militärfrage und Kolonialpolitik, die er stets in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge einbettete, gehören noch heute zu den Sternstunden des deutschen Parlamentarismus. Selbst seine Kritiker und politischen Gegner zeigten sich von seinem rhetorischen und intellektuellen Talent beeindruckt. "Sie kommen", so geißelte er etwa im Dezember 1906 die Kolonialverwaltung, "nicht als Befreier und Erzieher, sondern als Eroberer, als Unterdrücker, als Ausbeuter! Sie kommen als Eroberer, um mit brutaler Gewalt den Eingeborenen ihr Eigentum zu rauben […]. Sie nehmen das Eigentum aller, um es wenigen zu geben. Der Sozialismus will das Eigentum wenigen nehmen, um es allen zu geben."

Tod und Erinnerung

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte August Bebel mit gesundheitlichen Beschwerden und persönlichen Schicksalsschlägen. Seine Frau Julie verstarb bereits 1910, Tochter Frieda litt seit dem Tod ihres Mannes Ferdinand Simon unter Depressionen, er selbst unter einem schweren Herzleiden. Am 13. August schließlich starb er in Passugg in der Schweiz an einem Herzversagen. Sein Begräbnis in Zürich fand unter großer Anteilnahme der hiesigen Bevölkerung, der deutschen und der europäischen Arbeiterbewegung statt, die Bilder des Beerdigungszuges zeigen tatsächlich die öffentliche Verneigung vor einem "Kaiser". "Unsterblich", so formulierte es sein österreichischer Freund und Genosse Victor Adler in einem Nachruf, "ist August Bebels Name in den dankbaren Herzen der deutschen Arbeiterschaft und der Arbeiterschaft aller Nationen eingetragen, und als einer der größten Arbeiter an dem Werke der Befreiung des Menschengeschlechts, als einer der gewaltigsten Streiter für das Recht der Bedrückten wird er fortleben und unvergänglich erstrahlen im Bildersaal der Helden der Menschheit." Als "deutscher Erinnerungsort" ist August Bebel auch nach einhundert Jahren immer noch präsent. Zahlreiche Schulen, Straßen und Plätze sind nach ihm benannt, dennoch hat Günter Grass unlängst zu Recht ärgerlich-verblüfft angemerkt, dass die Erinnerung etwa im Vergleich zu seinem Gegenspieler Bismarck doch erstaunlich spärlich ausfällt. Die Erinnerung an diesen Vorkämpfer der Sozialen Demokratie auch in Zukunft wach zu halten und zu vertiefen, ist also der Mühe wert.